Wenn die Wolken flüstern Teil 1

Dies ist Teil 1 von 3 der Geschichte „Wenn die Wolken flüstern“
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Magische Reise zwischen Träumen und Wirklichkeit

Ich weiß nicht genau, wann ich das erste Mal durch diese Tür getreten bin. Vielleicht war es letzte Nacht, vielleicht vor vielen Jahren. Vielleicht sogar schon immer.

Auf dem Steg aus Wolken

Jedenfalls stehe ich jetzt wieder hier — barfuß, auf einem schmalen Steg aus glitzerndem Holz, der in eine schier endlose Wolkenlandschaft hinausführt. Jeder Balken unter meinen Füßen scheint lebendig, als würde er leise summen, wenn mein Gewicht ihn berührt. Die Luft ist schwer und weich zugleich, riecht nach Sommerregen auf heißem Asphalt und nach frisch gebackenen Brötchen, diese merkwürdige, vertraute Mischung hüllt mich ein wie eine warme Decke.

Unter mir wölbt sich ein endloses Meer aus Wolken. Sie bewegen sich in trägen Wellen, dick und dicht, mal schneeweiß, mal golden, mal mit einem geheimnisvollen bläulichen Schimmer, als ob darunter etwas Leuchtendes atmet. Ich habe das Gefühl, ich könnte einfach meine Hand ausstrecken und die Wolken kneten wie Watte, mich hineinfallen lassen und getragen werden.

Die Begegnung mit Luma

„Bist du wieder da?“ tönt plötzlich eine Stimme von rechts.

Ich zucke zusammen und drehe mich um. Und da sitzt sie schon: ein Mädchen mit langen, silbernen Haaren, die im Wind tanzen, als wären sie selbst ein Stück von diesen Wolken. Ihr Kleid schimmert wie der Nachthimmel über einem gefrorenen See, durchzogen von winzigen funkelnden Punkten, als hätte jemand Sternenstaub auf Samt gestreut. In ihrer Hand wiegt sie eine kleine Laterne, die mehr Schatten als Licht zu spenden scheint.

„Ich… ich glaube schon,“ sage ich, noch immer etwas atemlos. „Aber… wo ist hier eigentlich?“

Sie lächelt — nicht nur mit den Lippen, sondern so, dass ich das Gefühl habe, der ganze Himmel lächelt mit. „Das sagst du jedes Mal.“

„Jedes Mal?“ Ich runzle die Stirn. „Wir kennen uns?“

„Mehr als du denkst.“ Sie steht auf, und ich höre ein leises Klimpern, als ob winzige Glöckchen an ihrem Kleid hängen. Jedes Geräusch klingt hier klarer, größer, als würde die Luft es sanft festhalten, damit es nicht sofort verschwindet. „Komm schon. Ich zeig dir was.“

Zwischen Tag und Nacht

Ohne ein weiteres Wort schreitet sie voran, und ich kann nicht anders, als ihr zu folgen. Der Steg knarrt sacht unter unseren Schritten, manchmal sinkt er ein Stück tiefer, nur um sich wieder zu heben, als würde er auf den Atemzügen der Wolken mitreiten.

Links erstreckt sich ein Himmel, der in flüssigem Gold brennt, wo die Sonne tief steht und die Wolkenränder in leuchtendes Orange taucht. Rechts wölbt sich die Nacht: Samtiges Schwarzblau, durchzogen von schimmernden Sternen, und ein gewaltiger Mond, der so groß und nah ist, dass man fast seine Krater erkennen kann. Zwischen Tag und Nacht zu stehen ist… überwältigend.

Irgendwo in der Ferne donnert es — aber es klingt nicht bedrohlich, sondern wie Gelächter in einer fernen Küche, begleitet von einem rhythmischen Klirren, als würde jemand Töpfe gegeneinanderstoßen.

Wer bist du?

„Wie heißt du?“ frage ich, mehr, um mich von der unheimlichen Schönheit ringsum abzulenken.

„Hier heiße ich Luma,“ sagt sie, während sie ihre Laterne schwenkt und die Schatten tanzen. „Und du?“

Ich denke nach. „Ich… heiße…“

„Du kannst es ruhig sagen. Hier kannst du alles sein.“

„Dann… dann heiße ich Elian.“ Der Name fällt mir wie von selbst ein. Er liegt auf meiner Zunge, als hätte ich ihn schon hundert Mal ausgesprochen, wie ein Lied aus der Kindheit.

„Elian,“ wiederholt sie. „Klingt gut. Besser als beim letzten Mal.“

„Was war ich denn beim letzten Mal?“

Sie wirft mir einen verschwörerischen Blick zu. „Ein Waschbär.“

„Ein Waschbär?!“ Ich bleibe stehen. „Im Ernst jetzt?“

„Mit Zylinder und Monokel.“ Sie lacht, und es klingt wie hunderte Kristalle, die gegeneinanderstoßen, klar und hell.

Die Entscheidung an der Kreuzung

Wir erreichen eine Kreuzung, wo der Steg sich gabelt: Der eine Arm verschwindet in einem dichten, purpurnen Nebel, der wie lebendig wirkt, der sich windet und in langsamen Spiralen aufsteigt. Der andere führt zu einer schimmernden Brücke aus purem Licht, die aussieht, als hätte jemand einen Regenbogen zusammengerollt und ausgewalzt.

„Welchen willst du?“ fragt Luma und stellt ihre Laterne ab, deren Flamme flackernd in allen Farben glimmt.

„Was liegt hinter dem Nebel?“

„Träume, die du vergessen hast.“

„Und hinter der Brücke?“

„Träume, die noch kommen.“

Mein Herz schlägt schneller, als hätte jemand eine unsichtbare Saite in mir gezupft. „Und was, wenn ich mich nicht entscheiden will?“

„Dann bleiben wir hier stehen, bis die Wolken uns fressen.“

„Die… was?!“

Sie kichert. „Kleiner Scherz. Wolken sind harmlos. Meistens.“

Im Nebel der vergessenen Träume

Ich lache mit, auch wenn ich nicht sicher bin, ob sie wirklich scherzt. Schließlich deute ich auf den Nebel. „Vergessene Träume. Das klingt… nach mir.“

„Wie du meinst.“ Sie nimmt wieder ihre Laterne und geht voran.

Der Nebel verschluckt uns, sanft, aber bestimmt. Er fühlt sich kühl an auf der Haut, feucht wie Morgentau, und er schmeckt nach Lavendel und Zimt, nach Heimkommen. Je weiter wir hineinlaufen, desto mehr Formen tauchen um uns herum auf: ein altes Karussell mit abgeschabten Pferden, die leise vor sich hin schaukeln. Ein Papierdrache, der taumelnd durch einen Nachthimmel aus Tinte tanzt. Ein Baumhaus mit einer zerfledderten roten Fahne, das hoch oben zwischen knorrigen Ästen hängt.

„Das alles habe ich geträumt?“ flüstere ich, fast ehrfürchtig.

„Mehr als das,“ sagt Luma. „Das alles bist du.“

Warum erinnere ich mich nicht?

Ich sehe sie an, und in ihren Augen glühen zwei Monde, weich und geheimnisvoll.

„Sag mal,“ frage ich leise, „warum erinnere ich mich nicht an dich? An das hier?“

Sie bleibt stehen, dreht sich zu mir und sieht mich lange an, fast traurig. „Weil du wach geworden bist.“

„Und jetzt?“ Meine Stimme bricht fast. „Bin ich wieder eingeschlafen?“

„Nicht ganz.“ Ihr Lächeln ist still und wunderschön. „Manchmal… musst du nicht schlafen, um zu träumen. Du musst nur die Augen wieder öffnen.“

Tanzen zwischen Traum und Wirklichkeit

Ich sage nichts, weil es nichts zu sagen gibt. Plötzlich wirbelt um uns herum ein Schwarm leuchtender Schmetterlinge auf, als hätte jemand Funken in die Luft gepustet, und ich muss lachen, obwohl mir gleichzeitig die Kehle eng wird.

„Weißt du was?“ sagt Luma schließlich und schwenkt die Laterne, dass ihre Haare glitzern. „Lass uns nicht über das Warum reden. Lass uns tanzen.“

„Tan… was?“

„Na tanzen!“ Und schon dreht sie sich, ihr Kleid wirbelt einen Sturm aus Sternen um uns, und der Steg beginnt im Takt zu leuchten, wie von innen heraus.

„Aber ich kann nicht tanzen!“ rufe ich, halb protestierend, halb lachend.

„Hier kannst du alles.“

Und so tanzen wir. Auf einem Steg, der irgendwo zwischen Träumen und Wachen schwebt, während über uns Sonne und Mond miteinander tuscheln und unter uns die vergessenen Träume leise flüstern, als hätten sie alle Zeit der Welt.

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