Dies ist Teil 3 von 3 der Geschichte „Wenn die Wolken flüstern“
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Wach
Die Feder liegt noch immer auf meinem Nachttisch.
Ich drehe sie zwischen den Fingern, während die Sonne durch die Vorhänge bricht und goldene Flecken auf den Boden malt. Sie fühlt sich kühl an, als hätte sie die Nacht wirklich in den Wolken verbracht, als wäre ein Rest von Luma darin geblieben.
Mein Handy vibriert. Ein Termin blinkt auf:
„9:30 – Meeting.“
Ich lege das Handy weg, lasse es auf dem Nachttisch liegen wie etwas, das gerade nicht wichtig ist. Schaue noch einmal auf die Feder. Dann stehe ich auf.
Der Spiegel im Flur zeigt mir einen Mann, der irgendwie… vertrauter aussieht als gestern. Nicht unbedingt jünger, nicht unbedingt stärker, aber da ist etwas in meinen Augen, das gestern noch nicht da war. Ein Funkeln. Eine Ahnung.
Vielleicht liegt es daran, dass ich wieder barfuß bin und den Boden unter meinen Füßen spüre.
Ich ziehe eine Jacke an, stecke die Feder vorsichtig in die Brusttasche – und trete hinaus.
—
Draußen ist die Welt dieselbe. Autos hupen. Menschen hasten aneinander vorbei, mit gesenkten Blicken und Kaffeebechern in der Hand. Überall diese graue Geschäftigkeit.
Aber für mich… schimmert es. Als hätte jemand einen feinen Schleier aus Licht über alles gelegt, so zart, dass nur ich ihn sehe.
Ich gehe nicht ins Büro. Stattdessen biege ich ab, laufe die Straße hinunter, bis ich vor dem kleinen Theater stehe, an dem ich jahrelang nur vorbeigegangen bin. Immer mit dem Gedanken: „Irgendwann.“
Heute nicht.
Drinnen riecht es nach Staub und altem Holz. Samtvorhänge hängen schwer und still, als hielten sie den Atem an. Ich klopfe an eine Bürotür. Ein Mann mit Brille und Cordjacke blickt von seinem Papierkram auf, als hätte er mich schon erwartet.
„Kann ich Ihnen helfen?“ fragt er.
Ich räuspere mich. „Ja. Ich… würde mich gern melden. Für… die offene Bühne heute Abend.“
Er sieht mich kurz an, mit einem dieser Blicke, die einem durch die Fassade hindurchsehen, dann lächelt er sacht.
„Name?“
„Elian.“
„Okay, Elian. Du bist der sechste. Heute, 20 Uhr.“
Ich nicke, danke ihm und gehe wieder hinaus. Draußen schlägt mir die Sonne ins Gesicht, als würde sie mich necken.
„Du hast wirklich keine Ahnung, was du da tust,“ murmele ich in mich hinein.
Und irgendwo hinter mir, im Wind, höre ich eine Stimme, die mir vertraut ist:
„Du musst nur die Augen wieder öffnen.“
—
Am Abend ist der Saal voll. Menschen murmeln, Lachen fliegt wie lose Federn durch den Raum. Das Licht blendet, die Bühne wirkt kleiner, als ich sie mir vorgestellt hatte. Ich stehe hinter dem Vorhang in einer Reihe mit anderen, die alle viel professioneller aussehen, mit Notizen in der Hand und ruhigem Blick.
Meine Hände zittern.
In meiner Tasche spüre ich die Feder, kühl und leicht.
Als mein Name aufgerufen wird, setze ich den ersten Fuß auf die Bühne. Dann den zweiten.
Der Boden unter mir ist warm, wie der Steg aus Holz damals. Ein leises Flüstern begleitet mich, kaum hörbar, als würde der Nebel noch einmal nach mir greifen.
„Du kannst alles sein,“ höre ich Lumas Stimme in meinem Kopf.
Ich atme tief ein, hebe den Kopf, sehe ins Publikum – und beginne zu sprechen.
—
Nach dem Auftritt laufe ich die Straße zurück. Die Nacht ist still. Die Sterne funkeln, als hätte jemand den Himmel frisch gewaschen, und die Luft riecht nach Sommerregen.
An der Ecke bleibt eine Frau mit rotem Schal stehen. Sie sieht mich an, mit einem Lächeln, das fast wissend wirkt.
„Du siehst aus, als hättest du gerade die Welt erobert,“ sagt sie.
„Vielleicht hab ich das,“ antworte ich.
Sie nickt nur. „Man sieht es den Leuten an.“
Als sie weitergeht, bleibe ich stehen, schaue nach oben. Die Wolken sind da, hoch oben, fast wie ein Versprechen.
Ich meine sogar, den Steg zu sehen – für einen Herzschlag leuchtet etwas Silbernes dort oben auf, tanzt im Wind – und verschwindet.
Ich greife in meine Tasche. Die Feder ist weg.
Doch ich weiß: Sie ist nicht verloren.
Ich lächle. Atme tief ein. Und flüstere in die Nacht:
„Ich träume noch.“
Dann stecke ich die Hände in die Taschen – und gehe weiter.
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