Dies ist Teil 9 von 10 der Geschichte „Westcoast Trails“
Zurück zu Westcoast Trails – Teil 1
Highway 1
Am nächsten Morgen lag Los Angeles wie ein überreizter Traum hinter uns – ein letzter Blick in den Rückspiegel, dann verschwanden Skyline und Palmenzeilen langsam im Dunst. Wir bogen auf den Pacific Coast Highway ab, den hier alle einfach „Highway 1“ nennen, und ließen den Verkehr der Stadt hinter uns.
Gleich hinter Santa Monica wurde es ruhiger. Der Asphalt zog sich wie ein dunkles Band durch sanfte Küstenhügel, und links von uns breitete sich der Pazifik aus – nicht nur ein Stück Meer, sondern eine endlose Fläche aus tiefem Blau, die im Morgenlicht glitzerte. Wellen rollten gleichmäßig an den Strand, Möwen zogen Kreise über kleinen Buchten, und der Geruch von Salz lag in der warmen Luft.
Toni hatte die Beine unter sich geschlagen, den Arm aus dem Fenster gestreckt. Der Fahrtwind spielte mit ihren Haaren, und sie lächelte, ohne etwas zu sagen. Nach ein paar Minuten drehte sie sich zu mir. „Ich sag’s dir – das hier ist die schönste Straße der Welt. Punkt.“
„Langsam wird’s inflationär mit deinen ‚schönsten‘ Orten“, grinste ich.
„Quatsch. Hier ist anders. Hier… hier will man einfach fahren und nie ankommen.“
Wir fuhren durch Malibu, wo Surfer schon frühmorgens im Wasser lagen, auf die nächste Welle wartend. Kleine Cafés und Holzstege reihten sich am Strand, und Toni überlegte laut, ob wir anhalten sollten.
„Kaffee?“, fragte sie.
„Klar – wenn’s nicht wieder ein Smoothie für 12 Dollar ist.“
Der Kaffee war stark, der Blick über den Strand unbezahlbar. Wir blieben eine Weile auf einer Bank sitzen, bevor wir weiterfuhren.
Je weiter wir nach Norden kamen, desto dramatischer wurde die Küste. Hinter San Luis Obispo schlängelte sich die Straße in engen Kurven zwischen Felsen und Meer entlang. Links fielen die Klippen steil ab, und das Wasser brach sich in weißen Gischtfontänen. An einer kleinen Bucht lag ein einzelner Seeelefant im Sand, wälzte sich träge und schien den Ozean komplett für sich zu haben. Toni lachte leise, hob die Kamera und schoss ein paar Bilder. „Wenn ich irgendwann mal Urlaub in einem anderen Leben mache, dann genau so.“
In Big Sur hielten wir an einem Aussichtspunkt. Unter uns rauschten Wellen gegen dunkle Felsen, über uns schob sich Nebel langsam vom Meer herein. Die Luft war kühler hier, feucht und salzig, und roch nach Eukalyptus.
„Weißt du“, sagte ich, „hier könnt ich’s auch aushalten.“
„Siehst du“, grinste Toni. „Sogar du hast’s endlich kapiert.“
Kurz vor Carmel-by-the-Sea tauchte die Bixby Creek Bridge vor uns auf – elegant gespannt zwischen zwei Hängen, als wäre sie nur gebaut worden, um fotografiert zu werden. Wir stellten den Jeep am Straßenrand ab, liefen ein Stück und sahen von der Brücke hinunter auf den Strand, wo winzige Figuren im Sand spazierten.
„Wenn ich je eine Postkarte verschicken würde“, sagte Toni, „dann von hier.“
„Du verschickst doch keine Postkarten.“
„Noch nicht.“
Am späten Nachmittag erreichten wir Monterey. Die Sonne stand tief, warf goldenes Licht über die Dächer, und das Meer lag still in der Bucht. Wir parkten in der Nähe der Cannery Row, und während wir ausstiegen, hörte ich das ferne Rufen von Seehunden – als wüssten sie, dass wir angekommen waren.
Monterey
Am späten Nachmittag rollten wir in Monterey ein. Die Sonne stand schon tief, warf warmes Licht auf viktorianische Holzhäuser, und im Hafen glitzerten die Masten der Fischerboote. Möwen kreischten über uns, irgendwo schlug ein Tau im Wind gegen einen Mast.
Unser Motel lag direkt am Wasser. Die Fenster standen offen, und man hörte das Rufen der Möwen und das leise Schlagen der Wellen gegen den Pier. „Perfekt“, sagte Toni, als sie ihre Tasche aufs Bett warf. „Jetzt noch Muscheln und Wein.“
Wir schlenderten die Cannery Row entlang – alte Sardinenfabriken, die heute Cafés, kleine Galerien und Souvenirshops waren. Toni blieb an einem Stand mit handgemachtem Schmuck stehen und probierte Ketten an. Schließlich hielt sie eine hoch, an der ein kleiner Seestern baumelte. „Der passt zu meinem Hut“, erklärte sie und kaufte ihn, als wäre es das Selbstverständlichste der Welt.
Abends suchten wir uns ein kleines Restaurant am Pier. Die Fenster standen offen, der Blick ging über das glatte Wasser der Bucht, in dem sich der Himmel spiegelte – rosa, orange, violett. „Jonas?“, sagte Toni, während sie ihr Weinglas zwischen den Fingern drehte.
„Hm?“
„Findest du nicht, dass wir hier grad was ziemlich Großes machen?“
„Du meinst, diesen Haufen Geld verbrennen?“
Sie lachte leise. „Nein. So… von uns. Zusammen. Weg von allem.“
Ich sah sie an. Ihre Wangen glühten von der Sonne, ihr Haar war vom Wind zerzaust, und für einen Moment dachte ich nur: Ja. Genau das. „Ja“, sagte ich leise. „Ich find’s ziemlich groß.“
Nach dem Essen gingen wir noch am Strand entlang. Barfuß im kühlen Sand, während die Sterne nach und nach am Himmel auftauchten und das Wasser schwarz glänzte.
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Der nächste Morgen begann mit dem Geruch von Kaffee, der von einem kleinen Stand am Hafen herüberwehte. Wir nahmen unsere Tassen mit auf den Steg und sahen den Fischern zu, wie sie Netze an Bord zogen. Seehunde tauchten zwischen den Booten auf, bellten laut, als wollten sie ihr Frühstück einfordern.
„Guck mal, der da sieht aus, als wär er gestern noch in der Bar gewesen“, sagte Toni und zeigte auf einen besonders verschlafen wirkenden Seehund, der auf einer Holzplattform lag.
Vom Hafen aus schlenderten wir zum Fisherman’s Wharf. Der Pier war voll von kleinen Läden, in denen es nach gebratenem Fisch, Butter und Knoblauch roch. Straßenmusiker spielten Gitarren, Kinder hielten Tüten mit Zuckerwatte in der Hand, und über allem lag dieser leichte Salzgeschmack der Meeresluft.
„Ich glaube, ich könnte hier alt werden“, meinte Toni, während sie eine Portion Clam Chowder in einer Brotschale bestellte.
„Wär dir nicht zu ruhig?“
„Vielleicht. Aber für eine Weile wär’s perfekt.“
Wir setzten uns auf eine Bank am Ende des Piers. Unter uns plätscherte das Wasser, und direkt daneben tauchte ein Seeotter auf, der seelenruhig eine Muschel auf seinem Bauch knackte. Toni lehnte sich gegen mich, und wir sahen einfach zu.
Am Nachmittag fuhren wir ein Stück die Küste entlang nach Pacific Grove, wo sich die Felsen mit Seetang und Muscheln bedeckten und das Wasser in der Sonne grünlich schimmerte. Die Straßen dort waren gesäumt von kleinen Cottages, jedes mit einem liebevoll gepflegten Garten.
„Noch zwei Tage San Francisco“, sagte Toni irgendwann leise, als wir wieder Richtung Monterey fuhren.
„Ja.“
Es klang in dem Moment nicht nach Vorfreude, sondern nach diesem stillen Wissen, dass eine Reise bald enden würde.
Am Abend saßen wir noch einmal am Wasser, diesmal mit einem Glas Wein in der Hand. Die Lichter des Piers spiegelten sich in der Bucht, und das ferne Lachen der Leute mischte sich mit dem Rauschen der Wellen. Wir sagten nicht viel – vielleicht, weil wir beide spürten, dass diese Tage hier etwas waren, das man nicht so einfach wiederholen konnte.