Dies ist Teil 5 von 10 der Geschichte „Westcoast Trails“
Zurück zu Westcoast Trails – Teil 1
Monument Valley
Der Weg ins Monument Valley zog sich wie alter Kaugummi in der Mittagshitze. Die Straße lag schnurgerade vor uns, ein dünnes, dunkles Band, das sich durch eine Landschaft zog, die mit jedem Kilometer leerer wurde. Erst war da noch ein Hauch von Grün, dann ein warmes Ocker, bis schließlich nichts mehr blieb als rötlicher Staub und flimmernde Hitze.
„Seit einer Stunde zeigt das Navi nur noch geradeaus“, sagte ich leise und warf einen Blick aufs Display. „Das hier ist die Definition von Monotonie.“
„Quatsch“, entgegnete Toni, ohne aufzusehen. Sie hatte längst die Schuhe ausgezogen, die Füße aufs Armaturenbrett gelegt und scrollte durch ihre Playlists. „Das ist meditativ. Minimalismus in Straßenform.“
„Du meinst: Langeweile mit Stil.“
Sie grinste nur. „Genau. Jetzt halt die Klappe und lass die Musik sprechen.“
Ein Song mit Akustikgitarre und amerikanischem Folk füllte den Wagen. Der Fahrtwind war warm, roch nach Stein und trockenem Gras, irgendwo raschelte eine halbvolle Chipstüte unter ihrem Bein.
„Weißt du, was jetzt noch fehlt?“ fragte sie und warf mir einen Blick aus halb geschlossenen Augen zu.
„Ein Eiskaffee. Oder ein Pool.“
„Falsch. Ein Kaktus, der aussieht wie jemand, der winkt. Oder ein klappriger Truck, der uns mit einer Gitarre und einem Hund überholt. Dann hätten wir ein echtes Roadmovie.“
„Fehlen nur noch Dialoge in Zeitlupe und ein dramatischer Sonnenuntergang“, meinte ich. „Und der Moment, in dem du mich nervst und überall Chipskrümel hinterlässt.“
Die Chipstüte flog an meinen Kopf. „Du bist so ein Arsch.“
„Und du bist wie ein Roadtrip in Menschengestalt – anstrengend, unberechenbar, aber irgendwie nicht wegzudenken.“
„Awww“, machte sie gespielt gerührt. „Sag das noch mal. Mit mehr Pathos.“
Ich sah sie an, dann wieder nach vorne. Die Landschaft schien sich kaum zu verändern. Diese Weite war längst nicht mehr nur ein Ort – sie war ein Zustand. Ein endloser Loop aus Himmel, Horizont und Hitze.
„Okay“, gab sie schließlich zu. „Du hast recht. Es sieht verdammt gut aus.“
Und dann geschah es. Wie aus dem Nichts tauchten sie auf – drei gewaltige Felsformationen, die wie vergessene Götter am Horizont standen. Monument Valley. Die Szene aus Filmen und Postkarten – nur diesmal war sie echt.
„Oh. Mein. Gott“, hauchte Toni.
Ich bremste ab, fuhr langsam rechts ran. Das Auto rollte noch ein paar Meter, bevor wir ausstiegen. Der Wind war leise, fast ehrfürchtig. Der Asphalt unter unseren Schuhen flimmerte, als würde er atmen.
„Das ist doch nicht echt“, flüsterte sie.
Ich antwortete nicht, nahm nur die Kamera entgegen, ging in die Mitte der Straße und stellte mich auf die gelbe Linie.
„Jonas! Du kannst doch nicht mitten auf der Straße stehen!“
„Hier ist eh keiner.“
„Du bist so deutsch“, lachte sie. „Regelkonform in der Wüste.“
„Dann mach wenigstens ein gutes Bild, bevor ich verhaftet werde.“
Sie kniete sich leicht hin, stellte den Fokus ein. „Okay, noch mal so. Heb die Arme, aber schau nicht in die Kamera.“
Ich hob die Arme, ließ sie wieder sinken und blieb einfach stehen.
„Perfekt“, sagte sie leise. „Bleib so. Nur noch einen Moment.“
Die Minuten dehnten sich. Hinter mir die Ewigkeit, vor mir die Felsen. Der Wind zupfte am T-Shirt, in der Ferne huschten Schatten über den Sand.
Zurück im Auto meinte Toni: „Ich will hier eigentlich nicht mehr weg.“
„Das sagst du ständig.“
„Weil ich es meine.“
„Ich auch.“
Unser Motel war klein, alt und etwas schief geraten. Die Decke hing zu niedrig, die Klimaanlage röchelte wie ein alter Hund. Aber von der kleinen Terrasse aus blickte man direkt auf die Felsen, jetzt getaucht in goldenes Licht kurz vor Sonnenuntergang.
Toni stellte zwei weiße Plastikstühle hinaus, setzte sich mit einer Dose Cola. Ich kam mit einer warmen Bierdose zurück, das Etikett halb abgeblättert. „Romantik-Level: Tankstelle bei Sonnenuntergang.“
„Ich nehm’s“, sagte sie und prostete mir zu.
Wir saßen da, beobachteten, wie die Sonne lange Schatten über den roten Sand zog. In der Ferne krochen Jeeps über staubige Trails. Dann wurde es still – nicht die Art von Stille, in der man auf etwas wartet, sondern die, die sich anfühlt wie eine warme Decke.
„So sieht also Stille aus“, flüsterte Toni.
Ich nickte nur.
„Wünsch dir was“, forderte sie mich schließlich auf.
„Jetzt?“
„Jetzt.“
Ich schloss die Augen, atmete den Geruch von Sand, Staub und Sonnencreme ein, hörte das leise Knacken der Kühltasche und das metallische Zischen, als sie ihre Cola noch einmal öffnete.
„Hab schon alles, was ich brauche“, sagte ich.
Sie schnaubte. „Du kitschiger Idiot. Aber… okay. Gilt.“
Wir redeten nicht mehr viel. Die Nacht kroch über die Felsen, brachte Sterne mit – viele, schnell, plötzlich war da der ganze Himmel. Irgendwann wurde es kühl.
„Ich frier an den Füßen“, meinte Toni und stand auf.
„Dann gehen wir rein.“
Drinnen froren uns die Füße auf den Fliesen. Ich schloss das Fenster halb, ließ aber den Wind noch leise hereinkommen. Als ich mich ins schmale Bett legte, spürte ich Toni neben mir. Sie drehte sich halb im Schlaf um, legte ihre Hand auf meine Brust.
„Bleib so, okay?“, sagte sie leise im Traum.
Ich blickte an die Decke, hörte das monotone Surren der Klimaanlage – und lächelte in die Dunkelheit.
Weiter zum nächsten Teil: Westcoast Trails – Teil 6
Pingback: Westcoast Trails - Teil 4 - Zion und Bryce - zwischen Felsenfluss und Farbenmeer - wortigo