Westcoast Trails – Teil 4 – Zion und Bryce – zwischen Felsenfluss und Farbenmeer

Dies ist Teil 4 von 10 der Geschichte „Westcoast Trails“

Zurück zu Westcoast Trails – Teil 1

Zion National Park

Die Straße zum Zion National Park war eine einzige Schleife aus Staub, Sonne und Stille. Nach dem Trubel von Vegas und den feurigen Felsen des Valley of Fire wirkte die Landschaft plötzlich weicher, grüner, fast einladend. Als würde jemand am Kontrast gedreht und die Farben wärmer gemacht haben.

Toni lümmelte mit den Füßen auf dem Armaturenbrett, drehte an der Klimaanlage und spielte mit dem Reißverschluss ihrer Jacke.

„Komisch“, sagte sie nach einer Weile, „wie es hier schon wieder so ganz anders aussieht. Als würde man durch die Kapitel von einem Buch blättern.“

„Ja“, sagte ich und warf einen Blick in den Rückspiegel, wo der rote Staub hinter uns wie eine Wolke stand. „Und ich frag mich, in welchem Kapitel wir sterben, wenn der Sprit ausgeht.“

Sie lachte. „Du und deine Panik. Hast du mal auf den Tank geguckt? Der ist noch halb voll.“

„Halb leer.“

„Typisch Jonas.“

Wir bogen in den Park ein. Der Jeep rollte langsam über die enge Straße zwischen zwei gewaltigen, rot schimmernden Sandsteinwänden. Es war schon nach Mittag, das Licht wurde goldener, und die Schatten zogen sich über die Felsen wie lange Finger.

„Ich… ich glaub, ich hab so was noch nie gesehen“, sagte Toni schließlich, und es klang nicht mal übertrieben. „Ich auch nicht“ sagte ich zustimmend. 

Wir hielten an einem kleinen Stand mit selbstgemachter Limonade am Straßenrand. Eine ältere Frau mit Strohhut und zerfurchtem Gesicht stand dahinter, neben ihr ein geschnitztes Holzschild: Lemon Heaven – Ice Cold – $2.

Toni sprang sofort aus dem Wagen. 

“Hi! This looks amazing. Do you have anything without sugar?”

Die Frau lachte. “Sweetheart, this is the real stuff. Lemon, water, and just a touch of honey. Go on, try it.”

Toni nahm den Becher, den die Frau ihr hinhielt, probierte, nickte anerkennend und bezahlte.

“Ich liebe es hier jetzt schon,” sagte sie, als sie zurückkam. “Die Menschen. So real.”

Unsere Unterkunft lag ein paar Serpentinen weiter oben – eine kleine Lodge mit Holzveranda und Blick auf die rotgoldenen Klippen. Der Typ am Empfang trug ein Bandana und ein T-Shirt mit der Aufschrift Hike. Eat. Nap. Repeat.

“You folks look like you’ve had a day,” grinste er. “Want a room with a view or with shade?”

Toni lachte: “Do we look more sweaty or more scenic?”

“Bit of both.”

Wir bekamen ein Zimmer mit Blick in die Berge. 

Als wir auf dem Bett saßen, roch es nach Kiefernholz und frischer Wäsche. Toni kickte die Schuhe weg und streckte sich aus.

„Du willst doch jetzt nicht wirklich schlafen?“, fragte ich verwundert.

„Quatsch“, grinste sie. „Ich will nur kurz üben, wie man hier so tut, als hätte man ein entspanntes Leben.“

Wenig später zogen wir nochmal los, um einen kleinen Trail zu laufen – den „Riverside Walk“. „Easy“, sagte der Ranger:

“Even your grandma could do it.”

Toni grinste: “Then it should be perfect for Jonas.”

Der Virgin River schlängelte sich silbrig durch das Tal. Felsen in warmem Rot und Orange ragten links und rechts in den Himmel. Kinder warfen Steine ins Wasser, Touristen knipsten Fotos – und Toni war plötzlich in ein Gespräch mit einem älteren Ehepaar aus Montana verwickelt.

“You guys travelin’ all the way from Germany?”

“Yep. And we’re sweating like we belong here.”

“Well, welcome to red rock country,” sagte die Frau und drückte Toni ein paar handgeschriebene Tipps in die Hand. “Try the Canyon Overlook Trail tomorrow. It’s short but mighty.” Sie verabschiedeten sich.

Ich bin immer wieder aufs Neue überrascht, wie schnell Toni neue Leute kennenlernt, egal wo wir sind. 

„Hier würde ich gern ein Haus bauen“, sagte Toni später und blieb mitten auf dem Pfad stehen.

„Ein bisschen groß für einen Garten, findest du nicht?“

„Quatsch. Du morgens auf dem Felsen da drüben, ich unten mit Kaffee und Kamera. So stell ich mir das vor.“

„Und wer bringt mir den Kaffee hoch?“

„Na du.“

Wir lachten und liefen weiter. Ein kleiner, wilder Hase kreuzte unseren Weg. Toni blieb stehen, kauerte sich hin, und der Hase starrte sie für einen Moment direkt an.

„Der hier sagt, wir dürfen bleiben.“ Ich lachte. „Der hier sagt, wenn du was zu futtern hast, dann her damit“ Da musste selbst Toni lachen. „Wahrscheinlich hast du recht“ sagte sie und wir gingen weiter. 

Als die Sonne hinter den Felsen verschwand, färbte sich der Himmel in einem irren Spektrum aus Rosa, Lila und Dunkelblau. Toni setzte sich auf einen Felsen am Ufer, zog die Knie an und sah den letzten Lichtstreifen verschwinden.

„Ich weiß, das sag ich dauernd“, flüsterte sie, „aber… ist das nicht alles zu schön, um wahr zu sein?“

„Ja“, sagte ich ehrlich. „Aber wir sind ja auch nicht für immer hier.“

„Noch nicht.“ Sie zwinkerte mir zu.

In der Nacht waren wir lange wach, auf der Veranda der Lodge, mit Decken um uns, einer Flasche Bier und einem leichten Wind, der nach warmem Stein und Wacholder roch. Unten rauschte der Fluss, oben blinkten die Sterne.

„Wenn ich jemals ein Bild malen könnte“, sagte Toni, „dann genau das hier.“

Am nächsten Morgen roch die Luft nach Staub und Kiefern. Die Sonne kroch gerade über die Bergkämme, als wir unsere Thermobecher mit Kaffee füllten und uns leise ins Auto schlichen – so leise, wie man das mit einem V6 Jeep eben hinkriegt.

„Früh genug?“, fragte ich verschlafen mit einem Blick auf die Uhr. 06:17 Uhr.

Toni rieb sich die Augen. „Früh genug, um den Tag zu starten. Und den Sonnenaufgang zu erwischen.“

„Also genau richtig.“

Die Straße zum Trailhead war schmal, kurvig und noch fast menschenleer. Der Asphalt dampfte leicht von der Kälte der Nacht, und in den Kurven war das Licht schon golden. Wir parkten direkt vor dem Tunnel, der sich wie ein dunkler Schlund in den Felsen fraß – ein Tunnel, der aussah, als hätte ihn ein gigantischer Bohrer direkt in die Wand geschraubt.

„Da lang?“ Ich deutete auf das kleine Schild mit der Aufschrift Canyon Overlook Trail – 1.0 mi roundtrip.

„Kurz aber geil“, meinte Toni, schnallte sich die Kamera um und stapfte los. Ich folgte ihr – noch ein bisschen schlaftrunken, aber voller Vorfreude.

Der Pfad begann harmlos, aber nach ein paar Metern wurde klar, dass man besser nicht zu sehr in die Gegend träumen sollte. Auf der einen Seite ging es senkrecht nach oben, auf der anderen senkrecht nach unten – gesichert nur durch ein paar Holzgeländer, die eher aussahen wie Deko als wie eine Lebensversicherung.

Wir stiegen über Wurzeln, duckten uns unter Felsüberhänge, kletterten kleine Naturtreppen hoch. An einer Stelle war der Weg nur ein schmaler Sims, über dem ein Vogel kreischte und in der Tiefe ein Auto hupte – beides klang sehr weit weg und machte uns die Situation nur klarer. 

„Ist das noch Wandern oder schon Klettern?“, fragte ich, als ich mich an einer Kette entlang hangelte, die wohl für Leute wie mich gedacht war.

Toni grinste: „Adventure-Hiking. Für Fortgeschrittene mit Anhängsel.“

Der Blick nach unten war atemberaubend – wortwörtlich. Der Virgin River glitzerte in der Tiefe, eingerahmt von roten Klippen, die aussahen, als hätten sie sich vor Millionen Jahren zur Schau gestellt. Je höher wir kamen, desto leiser wurde die Welt. Nur unser Atem, unsere Schritte, der Wind.

Nach etwa zwanzig Minuten standen wir plötzlich oben. Die Plattform war nicht größer als ein Wohnzimmer, aber sie öffnete sich in eine Welt, die aussah wie ein Gemälde in Übergröße. Tief unter uns lag das Canyon Valley – ein gewaltiges Amphitheater aus Stein, Licht und Schatten. Die Sonne tauchte gerade die oberen Felskanten in Gold, während der Grund noch im Blau des Morgens lag.

Toni sagte nichts. Sie hob die Kamera, drückte zweimal ab und ließ sie dann sinken. „Man kann’s nicht festhalten“, sagte sie leise. „Nicht wirklich.“

Ich nickte. „Und trotzdem machen wir Fotos.“

„Damit wir wissen, dass es in echt war.“

Wir setzten uns auf einen Felsen am Rand. Neben uns ein paar Chipmunks, die neugierig schnupperten. Einer kam so nah, dass Toni ihn fast gestreichelt hätte. Ich reichte ihr einen Müsliriegel.

„Guck mal, jetzt haben wir Frühstück mit Aussicht.“

„Mit der ganzen Familie.“ Wir mussten lachen. Das hatten wir uns so heute Morgen nicht vorgestellt. 

Wir genossen den Ausblick aufs Tal, schauten gespannt zu wie die Sonne immer höher kroch und allem seinen natürlichen Glanz gab. 

„Ich will gar nicht wieder runter.“

Ich auch nicht. Für einen Moment war alles still. Kein Wind, keine Stimmen. Nur dieses Gefühl, dass man genau am richtigen Ort ist – zur genau richtigen Zeit.

„Wenn das hier ein Kapitel ist“, sagte Toni leise, „dann will ich, dass es doppelt so lang wird.“

Ich sah sie an. „Vielleicht wird’s ja eine Trilogie.“

Sie lachte. „Oder eine Serie, mit sieben Staffeln und Cliffhanger.“

Wir packten unsere Sachen ein und machten uns auf den Rückweg. 

Der Abstieg ging schneller. Vielleicht, weil wir die Stellen nun kannten. Vielleicht, weil Toni vorneweglief, als hätte sie in der Zwischenzeit Bergziegenblut getrunken.

„Jetzt weiß ich, wie sich so ein Drohnenflug anfühlen muss“, sagte ich, während ich über eine Felskante balancierte. „Nur ohne Absturzsicherung.“

„Aber mit Bonusausblick“, warf Toni über die Schulter. Ihre Stimme klang wach, lebendig, fast euphorisch. Die Sonne stand inzwischen höher, der Himmel war tiefblau, und unten wartete schon wieder diese flirrende Hitze.

Am Auto angekommen, war das T-Shirt durchgeschwitzt, die Beine leicht zittrig – aber im Kopf: Klarheit. So eine Art Aufgeräumtheit, die nur frühes Wandern in luftiger Höhe auslöst.

„Und jetzt?“, fragte ich, während ich mir den Staub von den Schuhen klopfte.

Toni schnappte sich die Wasserflasche, trank einen halben Liter und grinste dann: „Jetzt wird’s richtig amerikanisch. Badezeug, River, du und ein bisschen Mut.“

Der Virgin River war an diesem Vormittag nicht überlaufen. Ein paar Familien standen bis zu den Knien im Wasser, ein Hund jagte einem Ast hinterher. Ein paar Meter weiter war ein flacher Bereich mit großen Steinen – genau richtig zum Reinspringen oder sich treiben lassen.

Toni zog sich das T-Shirt über den Kopf, band sich die Haare zusammen und zeigte auf den Fluss: „Ich geh zuerst. Wenn ich schrei, ist es kalt.“

„Wenn du nicht schreißt, ist es verdächtig.“

Sie kletterte über die Steine, ließ sich auf einem flachen Felsen nieder und glitt dann langsam ins Wasser. Ein spitzer Schrei, dann Lachen. „Okay – Arktis! Aber geil! Komm schon rein, Joni!“

Ich zögerte kurz – dann Schuhe aus, T-Shirt runter, durchatmen. Das Wasser war klar, türkisgrün, eiskalt und lebendig. Es umströmte meine Beine, dann den Bauch – und mit einem schnellen Schritt ließ ich mich hineinfallen.

Für ein paar Sekunden vergaß ich alles – die Hitze, den Staub, den Muskelkater. Nur Wasser, Himmel und dieses dumpfe, gute Gefühl von „jetzt und hier“. Toni trieb neben mir, grinste mit geschlossenen Augen.

„Wir sollten das öfter machen“, sagte sie.

„Kaltbaden in Nationalparks?“

„Nein. Einfach leben, wie wir’s hier gerade tun.“

Ich nickte. Der Fluss rauschte, ein Vogel schrie irgendwo über uns, und ich dachte: Vielleicht ist das gar kein Kapitel. Vielleicht ist das das ganze verdammte Buch.

Bryce Canyon

Am nächsten Morgen weckte mich Toni, noch vor Sonnenaufgang.

„Steh auf. Sonst verpasst du den Wahnsinn.“

Ich zog mir die Decke über den Kopf. „Welchen Wahnsinn? Ich war grad in Italien. Ich hab Pasta gegessen.“

„Ja, ja. Schön für dich, Jonas. Aber hier gibt’s Felsen. Und Sonnenaufgang. Und angeblich Tränen.“

Ich blinzelte aus der Decke hervor. „Du willst also, dass ich vor Touristen heule?“

„Genau das ist der eigentliche Grund für die Reise.“ Sie grinste breit und warf mir meine Jacke ins Gesicht. „Komm jetzt. Du wolltest doch Natur und Gänsehaut und all das Drama.“

Ich stöhnte, setzte mich langsam auf. „Ich wollte eigentlich Kaffee.“

„Gibt’s im Auto. Thermobecher. Schwarz wie die Nacht und so stark, dass du danach vielleicht sogar reden kannst.“

Wir fuhren im Dunkeln los. Der Himmel war noch tintenschwarz, nur ein paar Sterne blinzelten zwischen den Wolken. Ich tastete mich durch die ersten Kurven, während Toni auf dem Beifahrersitz mit hochgezogenen Knien saß und aus dem Fenster starrte.

„Weißt du, was verrückt ist?“, fragte sie plötzlich.

„Dass wir freiwillig um fünf Uhr morgens durch die Pampa fahren?“

„Dass dieser Moment vielleicht später der ist, an den wir uns am meisten erinnern.“

Ich schwieg. Irgendwo lief leise Hollow Coves, einer dieser Songs, die man in genau solchen Momenten zum ersten Mal hört und dann nie wieder vergisst.

„Magst du den Song?“, fragte sie leise.

„Hm. Ja. Ist so ein bisschen wie du. Klingt harmlos, aber bleibt im Kopf.“

„Ey! Ich bin nicht harmlos.“

„Hab ich ja nicht gesagt.“

Sie schüttelte den Kopf und lachte leise in sich hinein.

Als wir am Rand des Bryce Canyon standen, war es immer noch still. Nur der Wind raschelte durch die Sträucher. Vor uns lag diese schier endlose Fläche aus Türmen und Zinnen – die „Hoodoos“, wie Kerzen, die jemand in den Boden gesteckt hatte.

Toni trat ein paar Schritte vor. „Krass“, flüsterte sie.

Ich sah sie an. „Das von dir zu hören, heißt schon was.“

Neben uns stand ein älterer Mann mit langem grauen Bart, Wollmütze und einer Thermoskanne in der Hand.

„First time?“ fragte er mit kratziger Stimme.

Toni nickte. „Yeah. You?“

„Thirtieth. And it’s different every time. But today… feels kinda special.“

„Hast du das gehört?“ flüsterte Toni mir zu. „Dreißig Mal. Der Typ lebt wahrscheinlich irgendwo hier in ’nem Tipi.“

Ich schmunzelte. „Oder ist heimlicher Bryce-Blogger.“

„Der Hoodoo-Flüsterer.“

„Der Trail-Typ.“

„Der Sonnenaufgang-Schnüffler.“

Wir musste  beide laut lachen und setzten uns auf die kalte Steinmauer am Aussichtspunkt. Ich zog uns eine Decke über die Schultern. Sie rückte ganz nah an mich ran.

„Findest du das nicht auch krass, dass es Orte gibt, die genau in dem Moment perfekt sind, wo man da ist?“, flüsterte sie.

Ich nickte nur. Der Himmel über den Hoodoos färbte sich erst grau, dann rosa, dann glühte alles in einem unverschämten Orange. Als würde jemand die Welt neu anmalen, während man zusieht.

„Wow“, murmelte ich.

Toni lehnte sich an meine Schulter. „Sag ich doch.“

Ein paar Minuten vergingen, in denen niemand etwas sagte. Nur das Klicken von Kameras um uns herum und der Wind.

Dann stieß sie mich plötzlich mit dem Ellbogen. „Siehste. Du heulst ja doch nicht.“

Ich grinste. „Innerlich. Ich heul immer innerlich.“

Nach einem schnellen Frühstück in einem kleinen Diner – der Kaffee war dünn wie Spülwasser, aber die Pancakes grandios – standen wir wieder draußen. Ich klopfte mir Krümel vom T-Shirt, während Toni mit dem Finger auf die Wandkarte zeigte.

„Ich will da runter.“

„In den Canyon? Jetzt?“

„Ja. Bewegen ist gut. Außerdem sieht’s da aus wie auf dem Mars.“

„Und ich dachte, du bist Team Slow Travel.“

„Bin ich auch. Aber manchmal will man halt einfach los.“

Ich hob die Augenbrauen. „Okay, Marsianerin.“

Bei der Lodge bekamen wir zwei Lunchpakete in die Hand gedrückt – von einer jungen Frau mit zerzausten Zöpfen, kariertem Hemd und Wanderschuhen.

“Watch out for the sun down there – it’s sneaky. And drink more than you think.”

Toni nickte. “Got it. Hydrate or die, right?”

“Exactly,” sagte sie lachend. “Spoken like a true desert hiker.”

Als wir den Trail runterstiegen, sagte ich: „Du bist erstaunlich wach dafür, dass du sonst beim Frühstück nicht mal redest.“

„Hoodoo-Zauber“, meinte sie und sprang von einem kleinen Felsen zum nächsten.

Ich musste grinsen. „Oder zu viel Ahornsirup.“

Der Abstieg war wie ein Schritt in eine andere Welt. Die Luft roch nach Staub, trockener Kiefer und warmer Erde. Die Sonne begann zu brennen, obwohl es noch früh war. In einer Kurve saß ein Eichhörnchen mitten auf dem Weg und starrte uns an.

„Jonas, guck mal. Darf ich vorstellen, das ist Chip, der Ranger hier“, flüsterte Toni.

Ich salutierte. „Sir.“

„Er möchte Eintritt.“

„Hab nur Kreditkarte.“

„Ich regel das.“ Toni kramte Nüsse aus dem Rucksack und legte sie auf den Boden. Das Tier schnappte sich eine und verschwand in einem Busch.

Ein Vater mit seiner kleinen Tochter kam uns entgegen. Das Mädchen war ca 4 Jahre alt und was direkt auffiel, waren ihre leuchtend blauen, großen Augen. Sie trug eine Mütze mit Einhörnern und der Pullover war mit bunten Blumen bestickt. 

Toni beugte sich runter. “Hey sweetie! How many squirrels have you seen today?”

“Two! And one almost stole my shoe!”

“Better be careful – they probably wanna come home with you.”

„Thank you very much, have a nice day“ lachte Toni und stand wieder auf. 

Das Mädchen lachte hell, der Vater nickte uns freundlich zu und wir gingen in unsere Richtungen weiter. 

Stundenlang wanderten wir durch die bizarre Landschaft. Die Felsen wechselten mit jeder Kurve ihre Farbe, von rot zu orange, zu fast golden. Die Hitze stieg, aber es störte uns nicht.

„Warum ist das hier nicht weltberühmter?“, fragte ich irgendwann.

„Ist es doch“, meinte Toni. „Nur sind die meisten zu faul zum Laufen.“

„Oder zu schlau. Meine Waden explodieren gleich.“

Sie grinste. „Dann explodieren sie wenigstens mit Aussicht.“

In einer kleinen Kurve setzten wir uns auf einen flachen Stein. Wir tranken Wasser, aßen unsere Sandwiches und keiner sagte etwas. Nur das Knirschen vom Sand unter unseren Schuhen, als wir die Beine ausstreckten, war zu hören. 

Toni starrte auf die Felsen gegenüber. „Manchmal glaub ich, wir machen das hier nur, damit wir später nicht bereuen, es nicht gemacht zu haben.“

Ich drehte mich zu ihr. „Und? Reicht das als Grund?“

Sie sah mich lange an. Dann nickte sie. „Reicht für mich. Ist doch eigentlich ein schöner Grund.“

Am späten Nachmittag kehrten wir zurück zum Parkplatz. Müde, eingestaubt wie ein altes Buch aber glücklich. Unsere Schuhe waren rötlich gefärbt und die Beine fühlten sich schwer an, aber in den Gesichtern hing dieses leise Grinsen, das bleibt, wenn der Tag mehr war als nur ein Tag.

Als wir ins Auto stiegen, lehnte Toni den Kopf gegen die Scheibe. „Ich glaub, hier hat man den Himmel ein Stück näher.“

Ich startete den Motor. „Kann sein. Und ich hab den Sand in den Schuhen ein Stück mehr.“

„Erinnerungssand“, murmelte sie und schloss die Augen.


Weiter zum nächsten Teil: Westcoast Trails – Teil 5

Ein Gedanke zu “Westcoast Trails – Teil 4 – Zion und Bryce – zwischen Felsenfluss und Farbenmeer

  1. Pingback: Westcoast Trails, Teil 3: Valley of Fire & Joshua Tree – Sonnenuntergänge zum Mitnehmen - wortigo

Schreibe einen Kommentar

Deine E-Mail-Adresse wird nicht veröffentlicht. Erforderliche Felder sind mit * markiert