Dies ist Teil 3 von 10 der Geschichte „Westcoast Trails“
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Valley of Fire
Nach Las Vegas wirkte das Valley of Fire wie eine andere Welt. Kaum Menschen, kaum Geräusche – nur rote Felsen, die aussahen, als hätten sie Feuer gefangen. Die Sonne brannte vom wolkenlosen Himmel, und die Straße wand sich wie ein dunkles Band durch die glühende Landschaft.
„Und das hier ist kostenloses Kino“, meinte Toni und deutete auf einen Felsen, der wie ein Elefant wirkte, der seinen Rüssel in den Sand tauchte.
Ich musste lachen. „Nur Popcorn fehlt.“
Wir parkten den Wagen auf einem kleinen Schotterplatz, und schon beim Aussteigen fühlte es sich an, als stünden wir mitten in einem Backofen. Die Luft vibrierte vor Hitze, und selbst die Schatten waren warm. Wir liefen einen der kurzen Trails, die sich zwischen den Felsen hindurchschlängeln. Staub stieg bei jedem Schritt auf, und das Knirschen unter unseren Sohlen war das einzige Geräusch weit und breit.
Toni blieb plötzlich stehen, legte ihre Hand auf den roten Sandstein und flüsterte: „Warm wie eine Heizung.“
„Schön, dass du daran denkst. Im Auto ist’s kühler.“
„Langweiler“, lachte sie und ging weiter, ohne die Hand vom Felsen zu nehmen.
Wir kletterten ein Stück höher, bis wir einen Platz im Schatten fanden. Dort ließen wir uns auf den Boden sinken, tranken aus unseren Wasserflaschen und sahen in die Stille. Über uns kreiste ein Adler, als würde er die Hitze einfach wegschneiden.
„Du weißt schon“, sagte Toni irgendwann, „dass ich hier bleiben könnte.“
„Und wovon willst du leben?“
Sie zuckte mit den Schultern. „Von Sonnenuntergängen.“
Wir blieben lange sitzen, bis die Sonne die Felsen noch röter färbte, fast violett, und die Schatten sich wie lange Finger über den Boden zogen. Alles um uns wirkte, als wäre die Zeit stehen geblieben. Kein Motor, keine Stimmen, nur die Wüste, die atmete.
Auf dem Rückweg zum Wagen hielten wir an der Fire Wave, einer Welle aus orange-weißen Streifen, glattgeschliffen vom Wind. Toni zog die Schuhe aus, balancierte barfuß auf der Kante und hob die Arme, als könnte sie gleich abheben.
„Mach ein Foto!“, rief sie über die Schulter.
„Nur, wenn du mir nicht runterfällst.“
„Keine Sorge, ich bin jetzt Wüstenprofi!“
Als wir wieder im Auto saßen, war die Sonne schon tief. Die roten Felsen glühten ein letztes Mal, als stünden sie wirklich in Flammen. Dann verschluckte uns wieder die Weite der Wüste. Für einen Moment hatte ich das Gefühl, dass wir die einzigen Menschen auf der Welt waren. Und dass es genau so richtig war.
Joshua Tree
Je weiter wir nach Süden fuhren, desto leerer wurde die Welt um uns herum. Die Straße schnitt durch die Mojave-Wüste, endlos gerade, flimmernd im Sonnenlicht. Links und rechts nur Sand, Büsche und vereinzelt Kakteen, die aussahen, als hätten sie die Einsamkeit längst zu ihrem Freund gemacht.
Toni lehnte den Kopf ans Fenster, die Sonnenbrille in die Stirn geschoben.
„Es fühlt sich an, als würde die Welt einfach nie wieder aufhören“, murmelte sie.
Ich nickte. „Oder als würde sie sich gar nicht mehr bewegen.“
Nach Stunden tauchte wie aus dem Nichts das Schild zum Joshua Tree National Park auf. Wir bogen ab, und plötzlich wirkte die Wüste lebendig. Überall ragten Joshua Trees in den Himmel, ihre verdrehten, stacheligen Arme wie Figuren aus einem Traum. Manche standen allein, manche in kleinen Gruppen, als würden sie sich gegenseitig Geschichten erzählen.
„Die sehen aus wie tanzende Aliens“, sagte Toni und kicherte. „Ich wette, nachts kommen die alle zusammen.“
„Und machen eine geheime Wüstenparty?“
„Genau.“
Wir hielten am ersten Trailhead und liefen hinein in diese surreale Landschaft. Der Sand war warm, die Luft still, und nur manchmal hörte man das leise Rascheln einer Eidechse, die zwischen den Felsen verschwand. Die Felsen selbst lagen wie zufällig gestapelte Riesensteine in der Sonne, manche so rund, dass es wirkte, als könnten sie jeden Moment ins Rollen kommen.
Irgendwann fanden wir eine Stelle zwischen zwei großen Granitblöcken, die uns Schatten schenkte. Wir setzten uns auf den Boden, tranken Wasser, und Toni lehnte den Kopf an den warmen Stein.
„Ich liebe es hier. Es ist… so still, dass man die eigenen Gedanken hört.“
Ich nickte. „Und plötzlich sind sie gar nicht mehr so laut.“
Am späten Nachmittag kletterten wir auf einen der Hügel, um den Sonnenuntergang zu sehen. Die ganze Wüste färbte sich golden, dann rot, und die Joshua Trees warfen lange, schräge Schatten. In der Ferne leuchteten die Felsen wie glühende Kohlen.
Toni stand barfuß auf dem warmen Granit, die Arme ausgebreitet.
„Du weißt schon, dass ich hier auch bleiben könnte.“
„Ich sehe ein Muster“, sagte ich.
Sie grinste. „Von Sonnenuntergängen kann man nämlich sehr gut leben.“
Als die Sonne hinter dem Horizont versank, füllte sich der Himmel langsam mit Sternen – so viele, dass wir fast vergaßen, wie dunkel Dunkelheit sein kann. Wir breiteten unsere Decke aus und lagen einfach da, während die Wüste die Wärme des Tages abgab und ein kühler Wind über den Sand strich.
„Ich hab das Gefühl, wir sind hier ganz allein auf einem eigenen Planeten“, flüsterte Toni.
„Und das ist gerade das Beste, was passieren kann“, antwortete ich.
Wir blieben, bis die Milchstraße über uns stand, und fuhren erst zurück, als die Nacht uns ganz umschlossen hatte. Joshua Tree fühlte sich an wie ein Ort, den man nie wieder ganz loslässt – egal, wie weit man danach fährt.
Weiter zum nächsten Teil: Westcoast Trails – Teil 4
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