Dies ist Teil 2 von 10 der Geschichte „Westcoast Trails“
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Death Valley
Die Straße wurde staubiger, die Luft trockener, die Sonne gnadenloser. Aus dem satten Grün der Sierra Nevada war längst eine Landschaft aus Sand, Staub und schroffen Felsen geworden. Auf dem Display blinkten 46 Grad. Die Klimaanlage kämpfte verzweifelt gegen die Hitze, und trotzdem fühlte sich die Luft im Wagen an wie der Atem eines Föns.
Toni hatte die Sonnenbrille ins Haar geschoben, den Arm aus dem Fenster gestreckt. Ihre Hand schnitt durch die heiße Luft.
„Ich wusste nicht, dass es so still sein kann“, sagte sie.
„Ich wusste nicht, dass ein Auto so heiß werden kann“, antwortete ich und hob kurz die Hand vom Lenkrad – sofort brannte es in der Handfläche.
Stundenlang fuhren wir durch eine Landschaft, die fast außerirdisch wirkte. Sanddünen, Salzwiesen, Felsen in allen Farben von Ocker bis Purpur. Kein Baum, kein Schatten, nur flimmernde Straßen, die am Horizont im Hitzeschleier verschwanden.
Am Zabriskie Point hielten wir an. Wir stiegen aus, und die Hitze schlug uns entgegen wie eine Wand. Unter uns rollte eine Landschaft aus goldenen Hügeln und zerfurchten Schluchten, geformt von Wind und Zeit, bis sie wie gefrorene Wellen wirkte.
Toni setzte sich wortlos auf die niedrige Mauer am Aussichtspunkt und sah in die Ferne. Der Schweiß lief uns sofort den Rücken hinunter. Aber wir blieben einfach sitzen. Man kann so eine Stille nicht im Auto vorbeiziehen lassen.
Später erreichten wir Badwater Basin – den tiefsten Punkt Nordamerikas. Der Boden war weiß, scharf, eine Kruste aus Salz, die unter unseren Schritten knackte. Toni zog ihre Schuhe aus, ohne zu zögern, und rannte ein paar Meter hinaus, barfuß, lachend, die Arme ausgebreitet.
„Jonas! Komm!“, rief sie.
„Bist du wahnsinnig? Das ist heißer als die Hölle!“
„Nur für dich!“, grinste sie.
Ich zögerte, dann ließ ich die Schuhe auch fallen und lief ihr nach. Jeder Schritt brannte, aber es war ein gutes Brennen. Die Sonne färbte den Himmel langsam orange, und die Berge am Rand des Tals glühten wie Kohlen. Wir waren ganz allein – nur wir, das Salz und die Stille, die in den Ohren dröhnte.
Als die Dämmerung kam, fuhren wir weiter. Das Licht veränderte sich jede Minute, und die Landschaft wurde noch unwirklicher. Schatten krochen über die Dünen, und ein einsamer Kojote huschte über die Straße, als wollte er uns daran erinnern, dass hier eigentlich niemand bleiben sollte.
Unser Motel lag am Rand des Parks, ein flaches Gebäude mit flackerndem Neonlicht. Die Klimaanlage brummte, als hätte sie schon seit Stunden keine Pause mehr gehabt. Ich stand lange unter der Dusche, während draußen die Hitze noch durch die Wände drang. Toni lehnte am Fenster, die Haare noch nass, die Haut gerötet von der Sonne.
„Du weißt schon“, sagte sie irgendwann, „dass du das nächste Mal der Erste bist, der barfuß läuft.“
Ich lachte müde. „Vielleicht. Aber nur, wenn du mich vorher vorwarnst.“
Später lagen wir auf dem Bett, das Laken noch warm von der Tageshitze. Durch den dünnen Vorhang sahen wir, wie der Himmel über der Wüste langsam voller Sterne wurde. Ich habe selten so viele Sterne gesehen. Sie schienen näher zu sein als irgendwo sonst – als könnte man sie fast greifen.
Und irgendwo zwischen Hitze, Salz und Stille wusste ich, dass man diesen Ort nie ganz verlässt, selbst wenn man wieder nach Hause fährt.
Von Beatty nach Las Vegas
Das Atomic Inn in Beatty wirkte nachts wie aus einem alten Roadmovie gefallen. Ein paar flache Gebäude, Neonröhren, die im Takt der Wüste flackerten, und davor ein Parkplatz, der mehr Staub als Asphalt war. Über der kleinen Stadt hing ein Himmel voller Sterne, so klar, dass man fast glaubte, sie würden gleich herunterfallen.
Am Morgen war es still. Nur die Klimaanlage summte noch träge, als wir unsere Sachen ins Auto luden. Toni stand mit einer Kaffeetasse in der Hand neben dem alten Atomic-Inn-Schild, das in der Morgensonne verblichener aussah als in der Nacht.
„Irgendwie mag ich’s hier“, sagte sie und strich mit dem Finger über den staubigen Wagendachrand.
„Weil es aussieht, als würde gleich ein UFO landen?“
Sie grinste. „Genau deswegen.“
Wir fuhren los, zurück hinein ins Death Valley. Die Sonne stand schon hoch, aber der Morgen brachte noch so etwas wie Erträglichkeit. Die Straße zog sich in langen, geraden Linien durch die flimmernde Landschaft. Links und rechts dehnten sich endlose Ebenen aus Sand und Salz, unterbrochen von zerklüfteten Felsen, die in allen Schattierungen von Ocker, Rot und Braun leuchteten.
Nach einer Stunde tauchte das Furnace Creek Visitor Center auf, wie eine kleine Oase inmitten der Leere. Ein flaches Gebäude, ein paar Palmen, Parkplätze, die im Licht flirrten. Wir stiegen aus, und sofort legte sich die Wüstenhitze wie ein Gewicht auf unsere Schultern.
Drinnen war es kühl und still. Eine riesige Karte des Parks spannte sich über die Wand, kleine Lichter markierten die Orte, an denen wir schon gewesen waren: Zabriskie Point, Badwater Basin, Dante’s View. Toni ging von einem Schaukasten zum nächsten, betrachtete Gipsabdrücke von Tierspuren, Fotos aus der Luft, und blieb vor einem alten Thermometer stehen, das die Rekordtemperaturen anzeigte.
„56 Grad“, las sie. „Hier. Das ist verrückt.“
Ich nickte. „Und trotzdem lebt hier was. Sieh mal.“
Ein Ranger hatte gerade einen kurzen Vortrag gehalten, über Wüstenfüchse, Kolibris und sogar Kröten, die sich in kleinen Ritzen verstecken, wenn die Sonne zu gnadenlos wird.
Wir setzten uns mit einer kalten Cola auf eine Bank im Schatten. Vor uns die weite, stille Ebene, dahinter die Berge, die in der Mittagshitze fast wie gemalt wirkten.
„Das hier fühlt sich an wie… der Mittelpunkt von nichts und allem“, sagte Toni leise.
Ich nickte. „Und wir fahren jetzt in die totale Gegenwelt.“
Wir rollten weiter Richtung Las Vegas. Die Landschaft wechselte langsam, aber unaufhaltsam. Aus den weiten, flachen Ebenen wurden wieder Hügel, dann trockene Schluchten, die wie versteinerte Wellen wirkten. Die Sonne brannte, aber die Straße war fast leer – nur hin und wieder ein Truck, der eine Staubwolke hinter sich herzog.
Irgendwann, hinter einer langen Kurve, tauchten die ersten Vorboten der Stadt auf: endlose Stromleitungen, Werbetafeln für Motels, Tankstellen und verheißungsvolle „All You Can Eat“-Buffets. Dann wurde die Straße breiter, der Verkehr dichter.
Und plötzlich, nach Stunden von Sand und Stille, war da Las Vegas. Glitzernd, absurd, wie ein Versprechen und eine Drohung zugleich.
Las Vegas
Nach Tagen der Stille kam Las Vegas wie ein Schlag ins Gesicht. Die endlose Leere der Wüste lag noch in uns, als plötzlich Neonlichter, Werbeschilder und riesige Hotelpaläste am Horizont auftauchten. Schon auf dem Highway glitzerte die Stadt wie ein flackerndes Versprechen – oder eine Fata Morgana.
Toni drückte die Nase an die Scheibe und starrte auf die Lichtflut, die mit jedem Kilometer größer wurde.
„Wie ein Ufo“, sagte sie schließlich.
„Eins mit sehr vielen Cocktails“, antwortete ich und musste lachen.
Die ersten Kilometer durch die Vororte waren fast enttäuschend – flache Häuser, Tankstellen, Fast-Food-Ketten. Doch dann, als wir den Strip erreichten, verschluckte uns die Stadt. Lichter, Musik, Menschenmassen. Alles blinkte, alles summte, und es fühlte sich an, als würde die Wüste draußen nur noch ein Traum sein.
Unser Hotel lag direkt am Strip. Schon die Lobby war ein Overload: Teppiche mit goldenen Ornamenten, ein künstlicher Wasserfall, überall Stimmen und das helle Klimpern der Spielautomaten. Wir checkten ein und fuhren mit dem gläsernen Aufzug nach oben.
Toni stellte den Rucksack auf den Boden und drehte sich einmal um die eigene Achse mitten im Zimmer.
„Ich fühle mich wie Pretty Woman“, sagte sie und ließ sich mit einem Lachen aufs breite Bett fallen.
Ich grinste. „Dann fehlt dir nur noch ein Kleid mit Pailletten.“
„Und ein Fahrer“, sagte sie und sprang wieder auf. „Aber ich nehm auch dich.“
Am Abend stürzten wir uns ins Chaos. Wir liefen über den Strip, zwischen Menschen in Shorts und Kleidern, zwischen leuchtenden Schildern, blinkenden Screens und einem Geruch aus Popcorn, Parfum und heißem Asphalt. Die Bellagio-Fontänen schossen in den Himmel, synchron zur Musik, während irgendwo ein Elvis-Imitator „Suspicious Minds“ sang.
Toni blieb bei einem Spielautomaten stehen, drückte ein paar Knöpfe – und die Maschine blinkte und piepste. 40 Dollar Gewinn. Sie drehte sich zu mir um, triumphierend, die Hände in die Hüften gestemmt.
„Siehst du? Glück muss man sich verdienen!“
„Ich verdien’s mir an der Bar“, sagte ich und bestellte uns zwei Whiskey Sour. Das Glas war eiskalt, die Luft im Casino warm, und die Stadt wirkte wie ein einziger Rausch aus Licht und Lärm.
Später saßen wir auf den Stufen vor dem Bellagio-Brunnen. Um uns herum Touristen, Selfies, Gelächter. Vor uns tanzte das Wasser in den Himmel, die Musik schwoll an, und die Nacht war erfüllt von tausend Geräuschen. Ein Straßenmusiker spielte „Hotel California“ auf einer abgenutzten Gitarre, und für einen Moment war es, als würde die Stadt einen tiefen Atemzug nehmen.
„Alles hier ist so übertrieben“, sagte ich schließlich.
„Genau deswegen mag ich’s“, murmelte Toni und lehnte den Kopf an meine Schulter.
Über uns zog der Himmel schwarz und klar, als wäre die Wüste doch noch da, nur ein paar Kilometer entfernt. Aber hier unten pulsierte das Licht weiter, unaufhaltsam, als würde die Nacht niemals enden.
Am Morgen war die Stadt ein anderer Ort.
Die Neonlichter waren verblasst, die Fontänen standen still, und über dem Strip hing ein leichter Dunst, der nach Hitze und Asphalt roch. Vor den Hotels liefen ein paar müde Touristen, Sonnenbrillen auf der Nase, Coffee-to-go in der Hand. Die Stadt wirkte wie nach einer langen Party, die noch in den Mauern vibrierte.
Toni stand am Fenster unseres Zimmers, barfuß, die Haare zerzaust, und sah auf die leere Straße hinunter.
„Komisch, oder?“ sagte sie leise. „Nachts wirkt alles hier wie ein Traum. Und jetzt… wie eine Filmkulisse, wenn alle Darsteller Pause machen.“
Wir packten unsere Sachen schweigend. Nur das Rascheln von Kleidung und das Klacken des Koffers, der zufiel. Draußen brannte die Sonne schon wieder auf die Glasfassaden, und irgendwo in mir wuchs die Sehnsucht nach Stille, nach echtem Himmel ohne Leuchtreklame.
Unten am Wagen blieb Toni kurz stehen, sah zurück auf die Stadt, die sich im Vormittagslicht streckte und gähnte.
„Bereit?“, fragte ich.
„Mehr als bereit“, sagte sie und setzte die Sonnenbrille auf.
Wir fuhren los, hinaus aus der Stadt, und die Häuser wurden kleiner, die Reklamen seltener. Bald schluckte uns wieder die Wüste, als hätte Las Vegas nur kurz in unserem Roadtrip aufgeblitzt – ein Traum in Neonfarben, der sich langsam im Rückspiegel auflöste.
Weiter zum nächsten Teil: Westcoast Trails – Teil 3
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